Impuls für deine Woche

Mir ist vor kurzen eine kleine Geschichte in die Hand gefallen, als ich mich gefragt habe, wie wir die Löcher in unserem Herzen stopfen und mit Verletzungen umgehen.


Das gefallene Herz
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Es war einmal ein Herz. Das lebte fröhlich in einer großen Familie von Herzen. Meistens war es neugierig und manchmal auch etwas übermütig. Es wollte alles kennenlernen, erforschen und ausprobieren. Natürlich musste es dazu auch eigene Wege gehen. Aber schließlich hatte es ja auch einen eigenen Willen. Eines Tages geschah es. Unser Herz war wieder unterwegs. Es hatte die vorsichtigen Warnungen gehört und gut aufgepaßt. Trotzdem, irgendwann war es an einem glatten Hang abgerutscht und in einen tiefen Schacht gefallen. Es war irgend ein alter Brunnen oder so etwas. Das Herz wollte sich noch schnell am Rand festhalten, aber nichts hat mehr geholfen.

Da lag nun das arme Herz, gefallen, im tiefen Loch. Es war dunkel, naß, kalt und eng. Das Herz hatte auf einmal Angst. Es schloß die Augen, öffnete sie wieder - aber es war immer noch gleich: dunkel, nass, kalt. Das Herz fror. Es schrie und heulte - doch niemand hörte es. So wurde es immer leiser und verstummte schließlich ganz. Manchmal fiel ein Sonnenstrahl ins tiefe Loch. Hoffnung erwärmte das gefallene Herz. Vorsichtig begann es sich aufzurichten und an den kantigen Stellen emporzuklettern. Das war mühsam und tat weh. Aber gerade wenn es ein paar Meter geschafft hatte, kam von oben ein Abguss, manchmal auch Abfall und Steine und traf das Herz.

"Au, Au" schrie das Herz aus der Tiefe. Aber niemand hörte es. Niemand sah seine Tränen, niemand fühlte seinen Schmerz. So lag es bald wieder am Boden im Loch, in seinem Schmerz. Das arme Herz. Auch Sonnenstrahlen, die es trafen, konnten es nicht mehr herauslocken. Denn viele Erinnerungen an Sonnenstrahlen waren verbunden mit schmerzhaften Erfahrungen. Soviele Hoffnungen waren enttäuscht worden. Soviele Rettungsversuche hatten mit Abstürzen geendet. So zog sich das Herz immer mehr in der Tiefe zusammen. Es sah noch den blauen Himmel über sich, wusste auch um die Wärme der Sonne. Tief innen sehnte es sich nach der Weite des Himmels und der zärtlichen Liebe der Sonnenstrahlen. Aber es gab keinen Weg nach oben für unser armes, gefallenes Herz. So blieb es in der Tiefe in seinem Schmerz.

Doch eines Tages, es sieht's mit Erstaunen. Dort oben, am Rand, dem felsigen, braunen. Ein Herz klettert vom Himmel nach unten. Ein Seil hält es fest. So kann es nicht fallen. Langsam nähert sich das Herz von oben dem gefallenen Herz. Zart und behutsam erklingt seine Stimme: "Darf ich dir helfen? Komm mit nach oben. Du sollst doch leben." "Ich kann nicht," flüstert das arme, gefallene Herz in seinem Schmerz. "Ich hab's schon so oft versucht. Immer wieder bin ich gestürzt. Schau mich doch an. Ich bin voller Wunden und Narben." Doch das Herz von oben berührt zärtlich und heilend die Wunden. So geschieht das Wunder: Der Schmerz wird leichter und Wunden beginnen zu heilen. Das gefallene Herz schaut auf. Erstaunt stellt es fest: das Herz von oben hat auch Wunden und Narben. So fragt es erstaunt: "Woher hast denn du diese Wunden?" "Das erzähl' ich dir später. Komm jetzt mit nach oben."

Dann beginnt der Aufstieg. Es war schmerzhaft. Der Weg ging vorbei an vielen Absturzstellen. Erinnerungen an tiefe Verwundungen wurden wach. Alte Narben begannen zu schmerzen. Plötzlich verdunkelte sich der Himmel über ihnen. "Vorsicht, ein Abguss." Abfall kam herunter und kantige Steine. Doch schnell stellt sich das Herz von oben schützend um das gefallene Herz. Au, au - muss das schmerzen, als die Steine das Herz von oben treffen. "Das neue Herz blutet. Es läßt sich verwunden. Für mich." Ein großer Blutstropfen trifft das verwundete, gefallene Herz. Und - ein Wunder: An der Stelle, wo der Blutstropfen auf Wunden und Narben fällt, da heilen die Narben und das Herz wird neu. So klettern sie weiter nach oben. Schritt für Schritt. Noch sind sie nicht oben. Aber sie werden es schaffen. Denn das Retterherz hat noch keinen verloren. An seinen Wunden wird alles gesunden.

von Rainer Rudolph  (Quelle)

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